Deutschland wird oft international Anerkennung für die Aufarbeitung des Holocausts zuteil. Ein Blick auf einen entsprechenden Umgang mit der deutschen Kolonialgeschichte ist demgegenüber sehr ernüchternd. Die Aussage, die Aufarbeitung der Deutschen Kolonialgeschichte stecke noch in den Kinderschuhen, kann – wenn überhaupt –, nur sehr wohlwollend erfolgen. Wenn von Erinnerungskultur gesprochen in Deutschland wird, ist festzustellen, dass die Erinnerungen sehr selektiv ausfallen: Daher muss eher von eine Er-/Entinnerungskultur gesprochen werden, denn Erinnern und Entinnern geschehen oft simultan. Ein gutes Beispiel hierfür liefert der Völkermord an den Herero und Nama, den das deutsche Kaiserreich zwischen 1904 und 1908 im damaligen „Deutsch-Südwestafrika“ beging. Erst 2015 erkannte die deutsche Bundesregierung das Verbrechen als Völkermord an. Damit änderte die Bundesregierung ihre Bewertung der Gräueltaten deutscher Truppen in Namibia, bei denen rund 100.000 Menschen getötet worden waren. Bisher hatte die Bundesregierung der Tatbestand Völkermord zurückgewiesen, da dieser erst seit Inkrafttreten des UN Völkermordkonvention 1948 gegeben sei. Allerdings hatte der Bundestag kurze Zeit zuvor die Massaker an den Armeniern von 1915 und 1916 im Osmanischen Reich als Völkermord verurteilt und somit ihre Bewertung des Genozids an Herero und Nama neu formulieren müssen. Die Bundesregierung führte allerdings aus, dass allein aus der Verwendung des Völkermordbegriffs keine Rechtsfolgen für Deutschland entstünden.
Schwerpunkt: Er/-Entinnerung
Postkolonialismus und Antisemitismus auf der documenta fifteen: Weiterführende Links
Viel und laut wurde im vergangenen Sommer die documenta fifteen diskutiert. Bereits Monate vor ihrem Beginn sah sich die Kunstausstellung mit Antisemitimusvorwürfen konfrontiert. Statt diese Vorwürfe zum Anlass zu nehmen, miteinander in den Dialog zu treten, standen sich am Ende der documenta noch verhärtetere Lager gegenüber: das Lager derer, die ständig neue Antisemitismus-Vorwürfe vorbringt und das Lager, das ausschließlich Rassismus beklagt.
Wir haben im Folgenden einige Links zusammengestellt, in denen Aram Ziai die Auseinandersetzungen analysiert und dazu Stellung bezieht. In seinen Beiträgen zeigt er auf, dass sich Antisemitismus- und Rassismuskritik nicht zwangsläufig feindlich gegenüberstehen müssen und wie ein möglicher Dialog aussehen könnte. Aram Ziai ist Mitglied von kassel postkolonial und lehrt im Fachgebiet Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien an der Universität Kassel.
Postkolonialismus und Antisemitismus auf der Documenta – Aram Ziai, Politologe (26.06.2022)
„Die eigenen Sichtweisen in Frage stellen“ (01.07.2022)
Antisemitismus auf der documenta: „Es ist verfehlt, das Problem auszulagern“ (28.07.2022)
Documenta und die postkolonialen Studien – Warum sollten wir nicht den Horizont erweitern? (24.08.2022)
Wenn man Sigmar Gabriel auf Kolonialismus anspricht – Ein Erfahrungsbericht
“Wird Europa sich in einer G2-Welt zwischen China und den USA behaupten können?” – so die zentrale Frage des Vortrags von Sigmar Gabriel. Mit einem 45-minütigen Input zu “Europa in einer unbequemen Welt” tourt der ehemalige Außenminister seit einiger Zeit durch Deutschland. Sicherlich sagt er nicht immer dasselbe. Doch die Schlüsselelemente und –wendungen des Vortrags sitzen einwandfrei. So auch am 12. Februar im Hörsaal 1 der Universität Kassel. Gabriel spricht frei, selbstsicher, irgendwie sanft und immer wieder selbstironisch vor dem voll besetzten Saal. Gibt sich als Familienvater und sorgend um seine Figur, ist bemüht so viel Identifikationsfläche wie möglich und so viel Angriffsfläche wie nötig zu bieten. Er gibt sich ein bisschen als den Weisen, der nun kommt, um noch mal seine Erfahrungen zu der jüngeren Generation sprechen zu lassen. So weit so erwartbar. So weit so unaufgeregt.
Nun aber ist da die Bedrohung, von Freiheit und der liberalen Weltordnung. Es sei unbequemer geworden. China bedroht, Russland bedroht, Trump bedroht, Datenfirmen bedrohen. Deutschland sei zwar „Industrialisierer der Welt“ gewesen, doch die Wertschöpfung läge nun mehr und mehr bei großen Datenfirmen. Trump begreife die Welt als „Arena“, in welcher der Stärkere gewinnt. Europa hingegen sei mit sich selbst beschäftigt. Es werde international als „wirtschaftlich reich aber politisch irrelevant“ begriffen. Wenn wir uns angesichts dieser Bedrohungen nun ausschließlich von Werten und Moral leiten ließen, so Gabriel, „werden wir an Moral ersticken“. Stattdessen müssen wir auch über Interessen reden und „schneller werden“ und in „einer Welt von Fleischfressern mindestens zu Flexitariern werden“, sprich: Wir müssen uns (mehr) bewaffnen. Gabriel schließt seinen Vortrag mit dem Hinweis, dass Entdecker und Eroberer die im 15. Jahrhundert Europa verlassen haben, 600 Jahre Dominanz europäischer Ideen in der Welt einläuteten. Auch heute ständen wir an so einem Scheideweg und es stelle sich die Frage, wie in 600 Jahren über unsere Zeit gesprochen wird. Wird es der Moment gewesen sein, in dem Europa bedeutungslos wurde? Oder der Moment in dem wir uns zusammenrauften und Stärke und Verantwortung entwickelten?
Und schon ist er da, nicht in Griechenland und nicht in Zimbabwe, nein, er ist im wahrsten Sinne des Wortes in der Mitte Deutschlands: Der Sprech von der Krise. Wohlgeeignet autoritäre Entscheidungen durchzusetzen und werteorientierte Politik in die Ketten der Sachzwänge zu legen. Sehr gefährlich für Demokratie im Allgemeinen und für Klassenkampf im speziellen. Lebenswerte, empathie-orientierte, solidarische Alternativen verschwinden dabei vom Horizont und Trumps „Arena“ und europäische Interessen sind das, was zurückbleibt und das Denken prägt. In dieser Welt kann natürlich nicht auf alles Rücksicht genommen werden. Das wird auch bei der anschließenden Fragerunde deutlich. Ich stelle zwei Fragen. Meine erste Frage argumentiert, dass Freiheit doch dort aufhören müsse, wo diejenige anderer beginnt. Dies müsse auch bedeuten, Menschen im globalen Süden die Freiheit zu lassen, ein gutes Leben zu führen und nicht die Kosten unsozialer und unökologischer europäischer Konsum- und Produktionsweise zu tragen. Weil dies impliziere Privilegien in Europa abzubauen, frage ich ihn nach seinen Vorschlägen, wie das angegangen werden könne? Zweitens frage ich Gabriel danach, wie Europa, mit einer Geschichte 500jähriger kolonialer Ausbeutung als legitimer Akteur begriffen werden könne, für Demokratie, Frieden oder Wohlstand weltweit zu sorgen? Wie bei dem Szenario des „stärkeren Europas“, das Gabriel anstrebt, der kolonialen Geschichte Rechnung getragen werden
könne? Gabriel wirkt angegriffen. Das hält ihn aber nicht davon ab, meine erste Frage komplett zu ignorieren, noch führt es ihn dazu, auf meine zweite Frage klar einzugehen. Weder die imperiale Lebensweise noch historische Schuld aufgrund des europäischen Kolonialismus scheinen im Vokabular des Sozialdemokraten vorhanden zu sein. Er beginnt zurückzufragen, ob ich denn nicht wisse, dass Aufklärung, Liberalismus und Menschenrechte alles westliche Ideen seien? Ob ich das alles schlecht fände und denke, weil es Kolonialismus gegeben habe, sei das alles verkehrt? Das könne doch nicht mein Ernst sein? Wow. Ich bin perplex. Ganz unabhängig davon, was meine Einstellung zu Aufklärung und Liberalismus sein mag, wie ignorant er über die Fragen hinweggeht, schockiert mich. Wie kann es sein, dass ein deutscher Spitzenpolitiker der SPD, wenn er auf Kolonialismus angesprochen wird, nicht wenigstens anerkennt, dass dies ein relevantes Thema ist? Wie kann es sein, dass Herr Gabriel beginnt über „westliche Werte“ zu sprechen statt von der Diskussion um Reparationszahlungen und um die Anerkennung von Völkermorden oder zumindest von Konflikt, Schwierigkeit und dem Bedarf weiterer Auseinandersetzung?
So wenig Gabriel auf die Frage eingeht, so aussagekräftig ist doch seine Antwort: Für die Auseinandersetzung mit kolonialer Geschichte gibt es keinen Platz und die globale Ungerechtigkeit, die durch unsere Lebensweise verursacht wird, schert das SPD- Urgestein nicht.
Ich bleibe die einzige Frau, die bei dieser Veranstaltung ins Mikro spricht. Beim Rausgehen reicht mir Gabriel noch die Hand und sagt „Jetzt gucken Sie nicht so böse.“ Ein Lächeln hätte dem Mann wohl besser gefallen, aber komischerweise ist mir nicht danach.
Autorin: Paula H.
100 Jahre nach dem Ende des deutschen Kolonialreichs: Erklärung des bundesweiten Netzwerks zur Dekolonisierung der Erinnerungskultur
Am 25. November 2018 jährt sich das Ende des deutschen Kolonialreichs in Afrika, Ozeanien und Asien zum 100. Mal. Die brutale Durchsetzung deutscher Interessen während der 35-jährigen direkten Kolonialherrschaft kostete schätzungsweise einer Million Menschen – vor allem afrikanischer Herkunft – das Leben. Nicht nur Deutschlands Genozid an den Herero und Nama, sondern auch der Maji-Maji-Krieg und der Feldzug Lettow-Vorbecks im Ersten Weltkrieg in Ostafrika waren Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
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Wilhelm Kuhnert, der malende Kolonialherr
„Die Frankfurter Schirn hat mit ihrer Ausstellung „König der Tiere: Wilhelm Kuhnert und das Bild von Afrika“ eine Debatte entfacht: Wo bleibt die kritische Einbettung dieses Malers im Gefüge des deutschen Kolonialismus? Die Kritik ist berechtigt, schreibt Eric Otieno in seinem Gastkommentar für Monopol.“
Der Gastkommentar wurde am 20.11.2018 veröffentlicht und kann hier eingesehen werden.
Kolonialkritischer Stadtrundgang durch Witzenhausen
„Gemeinsam wollen wir uns auf die Suche nach den Spuren machen, die die deutsche Kolonialzeit in Witzenhausen hinterließ und herausfinden, welche Bedeutung diese für uns heute noch haben.
Es erwarten uns spannende und abwechslungsreiche zwei Stunden rund um den Campus in der Steinstraße – kommen Sie mit!
Der postkoloniale Stadtrundgang ist im Rahmen einer studentischen Projektarbeit am FB11 der Uni Kassel entstanden und wird von Studierenden durchgeführt.“