Grundlage: Neokoloniale Arbeits- und Besitzverhältnisse

Im Zuge des europäischen Kolonialismus seit Ende des 15. Jahrhunderts wurden die bestehenden ökonomischen und gesellschaftlichen Lebensweisen in den besetzen Gebieten oftmals zerstört und durch solche ersetzt, die den europäischen Kolonisator*innen bzw. Wirtschaftsunternehmen nützten.[1] Die Jahrhunderte andauernde Ausbeutung des Südens sowie die zunehmende Privatisierung von vorherigen Gemeingütern sowie die Zerstörung kooperativer und kollektiver Strukturen auch in Europa ermöglichte den wirtschaftlichen, militärischen und politischen Aufstieg europäischer Staaten, die Industrialisierung in Europa und die globale Etablierung des europäischen Kapitalismus. Die dadurch entstandenen sozio-ökonomischen und politischen Strukturen sind bis heute die Basis für die weltweite Vormachtstellung des Globalen Nordens, aber auch für die Macht jeweiliger Eliten im Globalen Süden.

Nach dem anfänglichen Raub von Ressourcen und der Verschleppung und Versklavung von Menschen aus dem Globalen Süden wurden nach und nach die Ökonomien und Gesellschaften in den Amerikas, Afrika, Asien und Australien nach den Bedürfnissen Europas ausgerichtet. Beispielsweise wurden Monokulturen eingeführt, so dass seither wenige Rohstoffe oder Agrarprodukte das gesamte Wirtschaftswesen dominierten. Das bedeutet, dass viele Länder langfristig vom An-/Abbau eines Produkts, das für die Bewohner*innen keinen direkten Nutzen hatte und hat, sowie von dessen Nachfrage und Abnahme durch Konzerne und Konsument*innen aus dem Norden abhängig wurden [Link zu „Kolonialwarenläden“].

Diese eingeführten Abhängigkeitsverhältnisse haben sich für viele Länder und Gesellschaften bis heute nicht grundlegend verändert – ungeachtet der erfolgreichen Prozesse nachholender Industrialisierung in einigen asiatischen Ländern. Die weltwirtschaftlichen Parallelen zwischen der ökonomischen Globalisierung des späten 20. und 21. Jahrhunderts und der kolonialen Ära sind deutlich sichtbar. Oftmals hat sich lediglich die Produktpalette um Rohstoffe wie z.B. Coltan für Handys oder Soja für die Verfütterung in der industriellen Massentierhaltung erweitert. Ohne eine anhaltende Ausbeutung von Menschen im Süden wären unser morgendlicher Kaffee, unsere Handys und unsere Kleidung sehr viel teurer, und transnationale Konzerne würden nicht entsprechende Gewinne erzielen. Neben den vielen unterbezahlten und prekär beschäftigten Europäer*innen, die dafür ebenso notwendig sind, finden sich auch in Deutschland Arbeiter*innen neokolonialer Ausbeutung ausgesetzt, beispielsweise migrantische Beschäftigte im Dienstleistungssektor, die prekäre Beschäftigungsverhältnisse haben und geringe Löhne erhalten oder deren Illegalisierung von Unternehmer*innen ausgenutzt wird.

Der Norden – und dort vor allem große Unternehmen – profitiert insgesamt weiterhin von der kolonialen Ausbeutungsgeschichte. Dass Menschen im Süden z.B. kein Land mehr zur landwirtschaftlichen Selbstversorgung besitzen und zum Teil abhängig sind von Importprodukten und Lebensmittelhilfen, ist zu einem erheblichen Anteil Ergebnis des Ausbaus kolonialer landwirtschaftlicher Strukturen, inklusive der Zwangseinführung des Prinzips von Privateigentum und der Globalisierung kapitalistisch organisierter Landwirtschaft(und dem damit zusammenhängenden Wohlstand im Globalen Norden). All dies äußert sich im Süden z.B. in der Fortsetzung der Produktion für ausländische Märkte, in Lebensmittelspekulationen, in Monokulturen und in massivem Landkauf durch Großkonzerne und andere Staaten.

[1] Diese Ausführungen basieren auf glokal e.V., 2013: Mit kolonialen Grüßen … Berichte und Erzählungen von Auslandsaufenthalten rassismuskritisch betrachtet. Berlin: glokal e.V. [Link zur Broschüre].