Schwarze Menschen als Arbeiter*innen im „chinesischen Dorf“ im Bergpark Kassel

Exotismus hat viele Gesichter. Im ausgehenden 18. Jahrhundert galt es als chic, Weltläufigkeit in landschaftsgärtnerischer Form zu demonstrieren. Im Kasseler Bergpark wurde hierzu auf Initiative von Landgraf Friedrich II. ab 1781 das chinesische Dorf „Mulang“ eingerichtet, um mit Mühle, Schafstall und Milchhäuschen idyllisches Landleben zu inszenieren. Allerdings gelang es nicht, chinesisches Personal anzustellen. Stattdessen arbeiteten dort etwa 50 Schwarze Menschen. Einige von ihnen wurden vermutlich – so die Historikerin Petra Werner – von nordhessischen Offizieren aus den amerikanischen Befreiungskriegen nach Deutschland verschleppt; andere scheinen aus Kamerun nach Kassel gelangt zu sein. Einige von ihnen starben früh durch Krankheiten oder Suizid. Über den Verbleib ihrer sterblichen Überreste – und über eine würdige Bestattung – ist kaum etwas bekannt; möglicherweise befinden sie sich in der Marburger Anatomischen Sammlung.

Bekannt ist hingegen, dass ihre Körper für eine Anatomiestudie genutzt wurden, die als eine der zentralen Quellen für „wissenschaftlichen Rassismus“ gilt und auch heute noch entsprechend rezipiert wird. Der Frankfurter Anatom Samuel Thomas von Soemmering war ab 1779 Professor am Kasseler Kollegium Carolinum. Im Zuge naturwissenschaftlicher Forschung im Geiste der Aufklärung befasste er sich mit anatomischen Studien; unter anderem damit, anatomische Grundlagen für die Unterteilung und Hierarchisierung der Menschen in Rassen zu finden. Soemmering sezierte die Leichen der Verstorbenen, um die phänomenologischen Annahme einer engen Verwandtschaft zwischen Menschen afrikanischer Herkunft und Affen auf anatomischer Grundlage zu verifizieren. In seiner Studie (1784) bekräftigt er diese Annahme, indem er Vergleiche zwischen afrikanischen Tieren und Schwarzen Menschen herstellt, und eine Hierarchie zwischen weißen und Schwarzen Menschen errichtet. Soemmering stand in regem Kontakt mit zeitgenössischen Wissenschaftlern und Philosophen und seine Studie beeinflusste auch die Arbeiten Immanuel Kants, der Soemmering als „berühmten und philosophischen Zergliederer“ lobt.

Der Bergpark Kassel ist damit nicht nur UNESCO-Weltkulturerbe, sondern ist in Gestalt des „chinesischen Dorfes“, durch die erzwungene Ansiedlung Schwarzer Menschen und insbesondere durch die Ermöglichung der Soemmering’schen Studien auch ein Ort, von dem aus eine Tradition wissenschaftlichen Rassismus‘ in Europa begründet wurde. In der offiziellen Kasseler Geschichtsschreibung bleiben diese Aspekte – insbesondere in ihrer Verknüpfung – unerwähnt. Das ehemalige Hirtenhaus im „chinesischen Dorf“, Mulang No. 6 dient heute als „schöner Platz für eine kleine Auszeit für Zwei“, bei der ein „gut gefüllter Frühstückskorb“ lockt.

Literatur: