„We are here, because you were there“ – „Wir sind hier, weil ihr da wart“. Der Aktivist und Direktor des Institute of Race Relations London Ambalavaner Sivanandan brachte die globalen Zusammenhänge von Migrationsbewegungen bereits in den 1980er Jahren so auf den Punkt. Seitdem wird der Slogan wiederholt in den Protesten Geflüchteter laut und verdeutlicht so, dass die Ursachen für Flucht und Migration differenzierter Betrachtungen bedürfen. Die Gründe, aus denen Menschen ihr Zuhause verlassen, stehen keineswegs in einem luftleeren Raum, der lokal und losgelöst von den politischen Realitäten anderenorts besteht. Die Perspektive auf Armut, Kriege und Diskriminierung als Fluchtursachen erfordert auch mehr als die Betrachtung der national politischen Umstände der Herkunftsländer. Vielmehr drängt sich die Frage auf, inwieweit beispielsweise die Umsetzung neoliberaler Wirtschaftspolitik durch die Zielländer Flucht erst verursacht. Denn Migrationsbewegungen resultieren auch aus der Notwendigkeit, sich wirtschaftspolitischen Ungleichheiten zu entziehen, die nicht selten durch die Interessen transnationaler Unternehmen verstärkt werden. Nicht umsonst verweisen dabei die Migrationsbewegungen nach Europa mitunter auf die Verflechtungen zwischen dem politischen Handeln des Globalen Nordens und den Auswirkungen im Süden hin. Nicht nur in Kassel zeigen sich diese engen Verflechtungen: Aus den hiesigen Rüstungswerken gelangen Waffen in die ganze Welt und sind dort in Kriegen und Konflikten beteiligt, die Menschen zur Flucht – auch in Richtung Deutschland – zwingen. Gleichzeitig starten vom Flughafen Kassel-Calden Abschiebeflüge. Migration als etwas zu bestimmen, dass von ‚außerhalb‘ nach Europa kommen würde, greift deswegen zu kurz, sondern ist grundlegender Bestandteil dessen, was unsere politischen Realitäten ausmacht.
Nicht erst seit der Anwerbung von ‚Gastarbeiter*innen‘ aus der Türkei und Südeuropa, sondern beispielsweise seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hat Arbeitsmigration eine große Rolle für Deutschlands Wirtschaft und Gesellschaft gespielt. So wanderten während des 19. Jahrhunderts ca. 5.5 Millionen Deutsche in die USA aus. Die damaligen Arbeitsmigrant_innen waren zumeist Kleinbäuerinnen und –bauern aus dem Südwesten Deutschlands bzw. Landarbeiter_innen aus dem damaligen Preußen, die nach der Bauernbefreiung mittellos waren. Gleichzeitig wurden im Zuge der Industrialisierung zwischen 1860 und 1910 gezielt Arbeitskräfte in Osteuropa angeworben, die ins Ruhrgebiet migrierten um im Bergbau zu arbeiten. Ab 1955 wurde mittels Anwerbeabkommen eine aktive Anwerbepolitik mit Italien, Spanien, Griechenland, Portugal, der Türkei und dem damaligen Jugoslawien betrieben.